Es gab eine Einigung zwischen dem DGB und dem BDA. Am 16.02.2016 soll der Gesetzesentwurf vom BMAS dem Kabinett vorgestellt werden.
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Gesetz damit schon durch ist, aber dass wir uns mehr als beeilen müssen.
Warum gefährdet die Gesetzesänderung unseren gesamten Berufsstand?
Ich mache mal einen Versuch und beschreibe die Auswirkungen der potentiellen Bestimmungen aus Sicht eines typischen Freelancers. Hierbei fokussiere ich mich auf den IT-Bereich. Die Unterschiede für Prozessberater, SAP-Berater, Interims Manager, Ingenieure u.ä. sind aber nicht allzu groß.
Die Gesetzes-Entwurfs-Passagen sind in blau, meine Gedanken dazu in normaler schwarzer Schrift.
611a – Vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag
(1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt.
Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend.
(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand
(a) nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen,
Um als IT-Freelancer/Berater für den Auftraggeber produktiv arbeiten zu können, müssen in vielen Projekten die Arbeiten parallel zu dem restlichen Team erfolgen. Dadurch bestimmen sich zumindest zum Teil die Arbeitszeiten, da nur eine synchrone Kommunikation gute Arbeitsergebnisse ermöglicht.
Kommunikation ist ein wichtiger Pfeiler eines gelungenen Projekts. Scheitern Projekte, so liegt es oft an der fehlenden Kommunikation. Dazu muss der Freelancer in unmittelbarer, räumlicher Nähe der Mitarbeiter des Kunden sitzen und Zugang zur „Kaffeeküche“ haben. Einige erfolgreiche moderne Projektmethoden wie Scrum setzen z.B. ein regelmäßiges kurzes tägliches Treffen voraus.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt a befolgt wird:
Durch eine räumliche und zeitliche Trennung der Projektmitwirkenden wird die Kommunikation stark erschwert. Dies führt zu dem ineffizienten Einsatz des Freelancers, zu erhöhten Aufwendungen und zu suboptimalen Projektergebnissen. Im Extremfall scheitert das Projekt daran.
(b) die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
Um als IT-Freelancer/Berater für den Auftraggeber produktiv arbeiten zu können, müssen in vielen Projekten die Arbeiten in den Räumlichkeiten des Kunden erfolgen. Kommunikation ist ein wichtiger Pfeiler eines gelungenen Projekts. Scheitern Projekte, so liegt es oft an der fehlenden Kommunikation. Dazu muss der Freelancer in unmittelbarer, räumlicher Nähe der Mitarbeiter des Kunden sitzen und Zugang zur „Kaffeeküche“ haben.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt b befolgt wird:
Durch eine räumliche Trennung der Projektmitwirkenden wird die Kommunikation stark erschwert. Dies führt zu dem ineffizienten Einsatz des Freelancers, zu erhöhten Aufwendungen und zu suboptimalen Projektergebnissen. Im Extremfall scheitert das Projekt daran.
(c) zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
Aus Sicherheits- und Compliance-Gründen ist es i.d.R. nicht möglich, den eigenen Laptop ins IT-Netzwerk des Kunden einzuklinken (Virengefahr etc.), sondern es muss mit Systemen gearbeitet werden, die der Kunde für die Projektlaufzeit in seinen Räumen zur Verfügung stellt und wartet. Auf diesen stellt dieser dann auch oft kundenspezifische (Projektmanagement- und Kollaborations-) Software, Host-Zugang, etc. für die Berater zur Verfügung. Der Freelancer arbeitet immer auf dem Server des Kunden und nutzt dadurch ständig dessen Mittel.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt c befolgt wird:
- Mehraufwand für den Auftraggeber, um das Fremdnotebook lizenztechnisch sauber aufzurüsten (mehrere Stunde bis Tage)
- Erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Virenbefalls der Kundensysteme durch die Fremdhardware
- Keine Möglichkeit, einen Freelancer zu beauftragen, da der ja auf dem Server des Kunden arbeiten und dort die Ergebnisse seiner Arbeit liefern muss.
- GGf. Verletzung anderer gesetzlichen Regelungen (je nach Branche)
(d) die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
Die Zusammenarbeit von Freelancern mit Angestellten des Auftraggebers ist sehr wichtig. Schließlich muss der externe Sachverstand mit den internen Spezifika des Auftraggebers verzahnt werden, um das Projekt erfolgreich durchführen zu können. Der Wissenstransfer von den Freelancern zu den Angestellten stärkt das Unternehmen und sorgt später für einen sauberen Betrieb des fertigen Projekts. Ohne diese Verzahnung wird kein Projekt gelingen.
Zur Erfüllung seiner Aufgaben ist es für die meisten Freelancer unbedingt notwendig, für die Projektzeit eng mit anderen Beratern und angestellten Mitarbeitern der Kunden zusammenzuarbeiten, sich häufig – oft mehrmals täglich – mit ihnen in formalen und auch in informellen Besprechungen auszutauschen und abzustimmen. Kommunikation ist ein wichtiger Pfeiler eines gelungenen Projekts. Scheitern Projekte, so liegt es oft an der fehlenden Kommunikation. Dazu muss der Freelancer in unmittelbarer, räumlicher Nähe der Mitarbeiter des Kunden sitzen und Zugang zur „Kaffeeküche“ haben. Einige erfolgreiche moderne Projektmethoden wie SCRUM setzen z.B. ein regelmäßiges kurzes tägliches Treffen voraus.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt d befolgt wird:
Ohne diese Zusammenarbeit werden Projekte unmöglich bzw. die Projektfehlschläge werden sich drastisch erhöhen. Unternehmen setzen viele Milliarden an Investitionen in den Sand.
(e) ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
Der Auftraggeber ergänzt oft sehr gezielt die intern vorhandenen Spezialisten mit externen Spezialisten mit ergänzendem Know-How. Um das komplexe Projekt möglichst effizient durchführen zu können, ist er auf die komplette Verfügbarkeit des Freelancers während der Projektlaufzeit angewiesen. Je nach Komplexität braucht der Freelancer einige Wochen bis einige Monate, um voll produktiv zu werden. Klassische Projektlaufzeiten fangen deswegen bei ca. 6 Monaten an und können auch weit über 12 Monate sein.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt e befolgt wird:
Der Freelancer müsste teilweise in einem anderen Projekt arbeiten. Er wird dadurch im Hauptprojekt weniger effizient. Im Übrigen ist es fraglich, ob er ein genau passendes zweites Projekt findet.
(f) keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
Der klassische Freelancer braucht für die Erbringung seiner Leistung keine Organisation. Er ist Wissensarbeiter und sein Wissen, seine Erfahrungen und seine interpersonellen Skills sind alles, was er für seine Leistungserbringung benötigt.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt f befolgt wird:
Der Freelancer wäre gezwungen, künstlich eine Organisation aufzubauen. Er müsste z.B. eine UG oder GmbH gründen. Die zusätzlichen Aufwendungen erzeugen für die Leistungserbringungen aber keinen Mehrwert und sind nur Ballast (Zeit und Kosten).
(g) Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
Der typische Freelancer rechnet in der Regel nach Stunden ab und schuldet dem Auftraggeber nur seine Arbeitsleistung aber keinen Erfolg. Das Gesetz fordert hier zumindest eine teilweise Entlohnung nach Leistung, um sich von der Scheinselbständigkeit abzugrenzen.
Rein kaufmännisch handelt der Freelancer sehr vernünftig. Schließlich ist die Schätzung der Aufwände für die Erstellung einzelner Werke sehr komplex und von sehr vielen Faktoren abhängig. Ein Teil der Komplexität ist unvorhersehbar, da die Ergebnisse vorab praktisch nie 100%ig definiert werden (können) und während des Projekts zusätzliche Herausforderungen auftauchen werden.
Moderne „Lean“ Projekt Methoden gehen in kleinen Schritten voran, z.B. 2-wöchentliche Sprints. Die zu liefernden Ergebnisse für so einen ein- oder zweiwöchigen Sprint werden erst am Anfang dieser Woche(n) festgelegt. Diese Methode wird sehr oft angewendet, da sie bessere Ergebnisse bringt als ein einmal festgelegtes Ergebnis in vielen Monaten „runterzuprogrammieren“.
Hier liegt man – gerade als Programmierer – bei der Einschätzung der Aufwände leicht um den Faktor 2 oder 3 daneben. Erfahrene Programmierer wissen um diese Schwierigkeit und akzeptieren deswegen fast immer nur Dienstleistungs- und keine Werkverträge, da diese nur nach Stunden abgerechnet werden.
AUSWIRKUNGEN wenn der Punkt g befolgt wird:
- Die Einbindung von Freelancer in Projekte, die nach modernen Projektmanagement Methoden vorgehen, ist nicht mehr möglich.
- Da die für ein Ergebnis notwendigen aufzubringenden Zeiten vom IT-Berater fast immer sehr schlecht eingeschätzt werden können, kann dieser als verantwortlich Wirtschaftender kein Angebot abgeben oder muss (wegen des hohen Unsicherheitsfaktors) den Risikozuschlag so hoch wählen, dass der Preis für den Auftraggeber sehr hoch ist.
(h) für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.
Der klassische IT Freelancer übernimmt immer im gewissen Umfang eine Gewähr für seine Arbeiten (Artikel). Der klassische Berater hingegen gibt nur Empfehlungen. Es liegt am Kunden, ob er diese annimmt. Damit übernimmt auch der Kunde die Verantwortung.
(3) Das Bestehen eines Arbeitsvertrages wird widerleglich vermutet, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch insoweit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat.
Gesamtergebnis und Auswirkungen
Der klassische IT Freelancer in einem typischen Projekt wird also in 7 von 8 Punkten als scheinselbständig eingestuft.
Dies entspricht praktisch einem weitreichenden Verbot der Freelancer Arbeit in Deutschland.
Nur der Freelancer hat noch eine Chance, der ein Gewerk anbietet, also eine feste Leistung (Werkvertrag). Da dieses aber in den meisten Fällen aufgrund der komplexen Projektbedingungen nicht möglich ist, werden in über 90% der Fälle keine Freelancer eingesetzt werden können
Was wird passieren, wenn das Gesetz so verabschiedet wird?
Brauchen Unternehmen in Zukunft für Ihre Projekte spezifische Qualifikationen, so können sie dafür nicht mehr flexibel auf Freelancer zugreifen.
- Sie werden gezwungen sein, diese Spezialisten über Systemhäuser zu engagieren. Dieses wird die Projektkosten in die Höhe treiben, da bei diesen nicht nur die Leistung des Spezialisten gezahlt werden muss, sondern auch die Gemeinkosten des Systemhauses.
- Die einzige noch verbliebende gangbare Alternative ist das Anheuern von Freelancern über die Arbeitnehmerüberlassung. Hierbei erzielt der Freelancer ein meist weit geringeres Einkommen. Für den Auftraggeber wird dies aber teuer . Außerdem werden diese alle paar Monate „technisch gekündigt“, um das Risiko der Nichtbeschäftigung bzw. der Zahlung des Vermittlers in dem Zeitraum der Nichtbeschäftigung zu minimieren.
- Viele der kleineren Freelancer Agenturen werden aufgeben, da sie fast keine normale Freelancer Vermittlung mehr durchführen können. Einige kleine Agenturen, die die höheren Risiken einer Arbeitnehmerüberlassung auf sich nehmen, werden in die Insolvenz gehen. Die Kosten der Arbeitsagentur steigen.
- Die Vermittlung verlagert sich auf die größeren Anbieter, die durch diese Gesetzgebung bevorzugt werden. Dadurch verlagert sich auch der Gewinn zu diesen größeren Anbietern. Im Gegensatz zu den kleinen Anbietern haben diese haben ausgefeilte Steuersparmodelle. Die Gewerbesteuereinnahmen sinken.
- Einige Freelancer werden aufgeben und sich anstellen lassen. Deren Einkommen reduziert sich und die Einnahmen aus Einkommenssteuer sinken. Vielen älteren Freelancern steht diese Option nicht offen. Viele dieser hochqualifizierten und produktiven Leistungsträger werden arbeitslos. Die durch sie erwirtschafteten Steuereinnahmen entfallen komplett. Die Kosten der Arbeitsagentur steigen (Hart IV, Zuschuss zur Krankenkasse).
- Viele der Freelancer werden in die schlechter bezahlte Arbeitnehmerüberlassung getrieben obwohl fast alle Freelancer diese ablehnen. Deren Einkommen reduziert sich und die Einnahmen aus Einkommenssteuer sinken.
- Alleinerziehende Frauen, die vorher einer flexiblen Freiberuflertätigkeit nachgehen konnten, müssen vielfach in Teilzeitanstellungen wechseln. Diese werden weit weniger gut bezahlt und sind in der Zeitgestaltung weit weniger flexibel.
- Viele der Freelancer werden Projekte in anderen Ländern annehmen bzw. in solche Länder auswandern, die ihnen es gestatten, ihren Lebensstil als freier unabhängiger Wissensarbeiter zu leben (brain drain). Laut einer Umfrage werden das nicht wenige dieser Leistungsträger sein.
- Einige Dienstleistungsunternehmen werden die neuen Hemmnisse dadurch umgehen, dass sie ihren Sitz in das benachbarte Ausland verlegen, das in diesem für sie sehr wichtigen Bereich bessere Ansätze zu bieten hat (z.B. die Niederlande). Gleiches gilt für die Projekte bei Unternehmen z.B. ein verstärktes Nearhoring. Weitere Steuerausfälle sind die Folge.
- Projekte müssen die erhöhten Einsatzkosten von Spezialisten (s.o.) tragen. Einige Projekte werden nicht mehr durchgeführt werden, da Ihre ROI-Rechnung durch die Zusatzkosten schlechter ausfällt. Das macht deutsche Unternehmen weniger wettbewerbsfähig.
Gäbe es eine bessere Lösung?
Die Idee der Anpassung des Gesetzes ist gut, da viele Menschen zu Konditionen arbeiten, die eine eigene Absicherung nicht ermöglicht. Zu oft werden diese in eine „freie“ Tätigkeit gezwungen und sind später Bezieher von Transfereinkommen.
Aber schütten wir doch das Kind nicht mit dem Bade aus und lassen die raus, die weder geschützt werden müssen noch wollen:
- Freelancer, die in der komplexen Arbeitswelt von heute entscheidend dazu beitragen, die Unternehmen in Projekten noch wettbewerbsfähiger zu machen
- Freelancer, die das volle unternehmerische Risiko tragen (kein Kündigungsschutz, Abhängigkeit vom nächsten Auftrag etc.)
- Freelancer, die genügend verdienen (mehr als den fünffachen Mindestlohn, also mehr als EUR 42,50 pro Stunde) und es sich dadurch leisten können, vorzusorgen
- Freelancer, die dann auch nachzuweisen haben, dass sie „zugriffssicher“ für Ihre Vorsorge zurücklegen
Siehe Positionspapier des DBITS.
Beurteilungen des Gesetzsentwurfs durch Arbeitsrechtler sind auf der Website des VGSD zu finden.
Eine genauere Betrachtung für die große Gruppe der Java Entwickler findest Du in dem Artikel „Scheinselbstständigkeitsbeurteilung für Java Developer nach Frau Nahles„.
Hoffnungsvolle Grüße,
Peter
P.S.: In vielen Fällen ist es für den Freelancer auch aus unternehmerischer Sicht sehr sinnvoll, bei dem Kunden vor Ort zu arbeiten. Die intensivere Zusammenarbeit und die persönliche Verbindung, die dabei geschaffen wird, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass der Freelancer auch beim nächsten Projekt angefragt wird. In diesem Sinne ist „Arbeiten beim Kunden“ keine Gängelung durch den Kunden sondern ein Kundenbindungsinstrument.