Eine häufig gegebene Empfehlung ist die, sich zu spezialisieren.
Argumentation: Wer sich spezialisiert, bearbeitet ein begrenztes Gebiet bzw. eine bestimmte Lösung immer wieder, hat dadurch hohe Lerngewinne und wird deshalb mittelfristig besser in dieser Problemlösung als andere, demnach gefragter auf dem Markt.
Hierbei ist es allerdings wichtig, die Spezialisierung nicht zu weit und nicht zu eng zu fassen.
Ist meine Spezialisierung zu eng, habe ich möglicherweise nicht genug Kunden, weil nicht genug Wirtschaftsakteure Spezialwissen über ein so kleines Gebiet nachfragen.
Ist meine Spezialisierung dagegen zu weit gefasst, verliere ich den Spezialisten-Vorteil, weil ich nicht mehr focussiert genug bin, um wesentliche Lerngewinne zu erzielen.
Bei IT-Freelancern ergibt sich eine gewisse Spezialisierung aus der Natur der Sache. Vermutlich kann nicht jeder alle Programmiersprachen und alle Datenbanken, und die Programmierung strategischer Games ist wahrscheinlich sehr verschieden von der Erstellung von Lohnabrechnungs-Software (ich bin da Laie).
Wie sinnvoll aber ist eine Spezialisierung als kaufmännischer Freiberufler?
Wie speziell sind die verschiedenen Themen, mit denen wir zu tun haben? Im kaufmännischen Bereich treffen wir auf die 4 Grundrechenarten und auf die immer wieder gleichen Fragestellungen. Welche Zahl ist größer, welche kleiner? Entsteht hier Gewinn oder Verlust? Muss ich hier teilen oder malnehmen?
Ich habe selbst bereits viele Themen im Kaufmännischen bedient, Controlling, Kostenrechnung, Überprüfung von Prozesssicherheit, Plausi-Prüfungen, einfache Datenbank-Schnittstellen. Dafür muss man rechnen können und denken. Spezialisierung ist real nicht erforderlich, weil man als Normalbegabter in jedes dieser Themen schnell hineinwächst.
Damit eine Spezialisierung genug Ertrag bringt, muss vor allem der Markt für diese Nischenlösung zum einen groß genug sein, damit es genug Kunden gibt, zum anderen transparent genug, damit der Spezialist auch gefunden wird.
Der IT-Freelancer-Markt ist groß genug, um eine große Anzahl Spezialisten zu ernähren. Der Markt für kaufmännische Projekte ist dagegen sehr klein. Der IT-Freelancer-Markt ist relativ transparent. Der Markt für kaufmännische Freiberufler ist eher unübersichtlich. Als Kaufmännischer gefunden zu werden, gestaltet sich immer noch schwierig.
Die nächste Herausforderung besteht darin, die Spezialisierung wirksam zu kommunizieren, so, dass Projektinhaber sie verstehen.
Im technischen Bereich ist die Effektivität einer Spezialisierung messbar. Im kaufmännischen Bereich kann es schwierig sein, den Vorteil des Spezialisten so mitzuteilen, dass der Empfänger der Botschaft diesen Vorteil versteht.
Der kaufmännische Freelancer steht also vor anderen Herausforderungen als der IT-Freelancer.
Schlaue Leute wissen: Im Kaufmännischen kann man andere schlaue Leute an sehr vielfältige Aufgaben setzen, auch wenn sie nicht exakt ganz genau das schon einmal gemacht haben. Die wissen auch, dass es in vielen Fällen (nicht in allen) sehr viel effektiver sein kann, einen schlauen Nicht-Spezialisten einzusetzen als einen nicht-schlauen Spezialisten.
Aus diesen Dynamiken und meiner patchworkartigen Laufbahn ergibt sich, dass ich vor allem von schlauen Auftraggebern eingesetzt werde. Mit denen finde ich das Arbeiten auch angenehmer.
Sehr gerne hätte ich mich enger spezialisiert. Die Wahrheit ist aber, dass es auf unserem kleinen kaufmännischen Markt einfach nicht genug Projekte zu eng umrissenen Aufgaben gibt, um sich nachhaltig darauf zu konzentrieren und davon zu leben. Also lerne ich auf vielen Gebieten dazu.
Derzeit (Dezember 2012) beobachte ich eine Welle extrem spezieller Anfragen durch die Agenturen. Insbesondere der Bankensektor fragt offensichtlich Spezialkenntnisse nach. So speziell, dass es auf dem kleinen Markt kaufmännischer Freiberufler wahrscheinlich kaum mehr als 3 Potentials für jede dieser Aufgaben gibt.
Beim Denkansatz zur Spezialisierung gibt es zwei grundlegend verschiedene Richtungen. Die eine richtet sich auf die Spezialisierung auf bestimmte Verrichtungen bzw. auf bestimmte Tools. Der ursprüngliche Gedanke der EKS dagegen, der Engpass-konzentrierten Strategie nach Wolfgang Mewes ist, sich auf die Lösung eines bestimmten Problems zu spezialisieren – die Tools dafür können sich im Laufe der Zeit ändern.
Beide Ansätze können Sinn machen. Wir wissen, welche Honorare an Spezialisten für ein bekanntes deutsches ERP-Tool gezahlt werden.
Die Spezialisierung auf Problemlösungen dagegen kann schwieriger zu kommunizieren sein, ist dafür aber unabhängig von Tools und Modeströmungen und schafft häufig eine langfristige, werthaltige Symbiose mit der Zielgruppe.